Der sechsachsige
DÜWAG-Gelenkwagen

unter besonderer Berücksichtigung des Essener GT6-ZR

Nachdem die Kriegsschäden weitestgehend behoben waren begannen in der Zeit des Wirtschaftwunders viele Straßenbahnbetriebe im Ruhrgebiet damit ihren inzwischen veralteten Wagenpark grundlegend zu erneuern. Die ersten Großraum-Straßenbahnwagen für Einrichtungs-Betrieb wurden 1951 an die Essener Verkehrs Aktiengesellschaft (EVAG) und Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) ausgeliefert: eine neue Ära wurde eingeläutet.

Diese vierachsigen Großraumtriebwagen der Düsseldorfer Waggonfabrik (DÜWAG) wurden später von den Vestischen Straßenbahnen (Vestische) und die Hagener Straßenbahn als eine Zweirichtungs-Version beschafft.

Die Wirtschaft boomt zu dieser Zeit: die Bergwerke fördern auf vollen Touren und die Hütten verfügen über volle Auftragsbücher. Die meisten Menschen nutzen Bus und Bahn um an ihre Arbeitplätze zu gelangen. Das Auto stellt noch keine Konkurrenz dar. Es stellte sich daher schnell heraus, daß für den Einsatz auf den Hauptlinien die Wagen eine zu geringe Platzkapazität aufwiesen. Sie wurden deswegen oftmals mit zwei- oder vierachsigen Beiwagen behängt, dadurch wurde jedoch ein zweiter Schaffner erforderlich.

Aus diesem Grund entwickelte die DÜWAG ab 1955 sechsachsige Einrichtungs-Gelenkwagen, die bei großer Beförderungskapazität nur zwei Mann Personal beanspruchten. Im Jahre 1956 erhielten die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen (BOGESTRA) als erster Betrieb im Ruhrgebiet diesen neuartigen Fahrzeugtyp. Jedoch war der Einrichtungswagen für die Bochumer Verhältnisse ungeeignet, da nur wenige Endstellen über die erforderlichen Wendeschleifen verfügten und auf einigen Überlandstrecken nur einseitige Haltestellen vorhanden waren, was Türen auf beiden Wagenseiten erforderte. Die DÜWAG entwickelte daher im Auftrag der BOGESTRA und der Vestischen eine Zweirichtungsversion des Gelenkwagens.

Die ersten Fahrzeuge des neuen Typs wurden 1957 ausgeliefert und glichen gestalterisch den bekannten Großraumwagen und konstruktiv den Gelenkwagen, jedoch unterschied sich die Türanordnung (1-2-1-2) von ihnen. Diese 2,20 m breiten und 20,1 m langen Fahrzeuge faßten bis zu 180 Fahrgäste, wobei 44 Sitzplätze vorhanden waren. Für den zu jener Zeit üblichen Fahrgastfluß mit sitzendem Schaffner war an beiden Wagenenden ein erhöhter Schaffnersitz vorgesehen, von dem aus auch die Türen im jeweils hinteren Wagenteil bedient wurden. Aufgrund der Weichenstellung über Fahrdrahtkontakte war zur besseren Abschätzungsmöglichkeit für den Wagenführer der Scherenstromabnehmer in der Nähe des Gelenks auf dem Wagenteil angebracht. Zu Versuchszwecken erhielt der TW 272 im Jahre 1963 einen Einholm-Stromabnehmer, der jedoch wieder entfernt wurde.






Mit Ausnahme der Linien nach Stiepel (5, 15) und denen zwischen Wanne und Steele (4, 14) kamen sie auf allen noch vorhandenen Linien zum Einsatz. Der TW 262 weilte 1957 für Probefahrten in Wuppertal und Saarbrücken, eine Beschaffung durch diese Betriebe erfolgte jedoch nicht. In den folgenden Jahren bis 1969 wurden insgesamt 91 Triebwagen beschafft, die die Nummern 261-298 sowie 1-53 erhielten. Zunächst waren alle Wagen in der Standardfarbe grünbeige lackiert. Dazu kamen Zierstreifen in Gras- und Flaschengrün und ein maschinengraues Dach. Zu Beginn der achtziger Jahre wurden in die Triebwagen 33-53 Zugsicherungs-Einrichtungen für den Tunnelbetrieb in Gelsenkirchen eingebaut. Gleichzeitig erhielten sie Neulack in den Stadtbahnfarben rot und weiß. Ihr Einsatzgebiet beschränkte sich seitdem auf die Gelsenkirchener Linien 301 und 302. Als einziger in Bochum beheimateter Triebwagen erhielt TW 290 die neue rot-weiße Lackierung.

In den neunziger Jahren hielt mit dem neuen VRR-Farbschema die "City-Expreß"-Lackierung Einzug, die noch einige der tunnelgängigen Wagen erhielten. Die in Bochum verkehrenden Fahrzeuge behielten bis zu ihrer Ausmusterung die grünbeige Farbgebung. Die Lieferung der M-Wagen und Streckenstillegungen machten bereits in den achtziger Jahren einige Wagen überflüssig, so daß sie verschrottet oder an andere Betriebe verkauft wurden. So gelangten ab 1985 acht Wagen nach Lille in Frankreich, 1994 neun TW nach Gent in Belgien, 1994/95 sechs TW nach Gotha in Thüringen, 2002 ein TW nach Innsbruck in Österreich und 1998/2000 acht TW nach Arad in Rumänien. Die nach Innsbruck und Arad gelangten Wagen stehen noch heute im Einsatz. Nach erfolgter Ausmusterung der letzten cremefarbenen Wagen in der Mitte der neunziger Jahre kamen die tunnelgängigen Fahrzeuge auf den Linie 306 und 310 zum Einsatz. Die zuletzt Wagen waren TW 40 und 50, die mit den neuen Nummern 640 und 650 bereits in den Arbeitswagen-bestand überführt worden waren. Jedoch fuhren sie aufgrund Wagenmangels noch sporadisch auf der Linie 306.

Die GT6-ZR in Essen

In Essen, meiner Heimatstadt, beschaffte die Essener Verkehrs AG (EVAG) in den Jahren 1962/63 zehn Einheiten der Zweirichtungs-Version, nachdem sie bereits über 60 Einrichtungs-Sechsachser erhalten hatte. Der Grund für die Beschaffung war das Fehlen einer Wendeschleife am Endpunkt der damaligen Linie 36 am Pferdemarkt in Bottrop.

Im Gegensatz zu den bereits in den Nachbarstädten vorhandenen erhielten die Essener Fahrzeuge am Vordereinstieg eine Doppelfalttür, so daß sich die Türanordnung 2-2-1-2 ergab. Die Wagen erhielten die Nummern 1721-24, Baujahr 1962 und 1725-30, Baujahr 1963. Sie erhielten eine cremefarbene Lackierung mit grünen Zierstreifen und grünem Dach. Später wurde auch das Dach cremefarben lackiert. In den späten siebziger Jahren erhielten die Wagen eine Lackierung in den Essener Stadtfarben blau und gelb mit grauem Dach. In dem gleichen Zeitraum, etwa ab 1977, fiel der Einbau von Zugsicherungseinrichtungen für den bevorstehenden Tunnelbetrieb in der Essener Innenstadt.


TW 1758, Essen
TW 1758 auf der Linie 104.



Zunächst verkehrten sie nur auf die Linien 26 und 36 aber nachdem 1967 die Strecke nach Bottrop eingestellt worden war, kamen die Wagen auf die Linie 5. Denn an deren neuem Endpunkt in Frintrop befand nun sich aufgrund der Stillegung der Strecke nach Oberhausen eine Stumpfendstelle. Dies erforderte den Einsatz von Zweirichtungswagen. Fortan prägten die "1700er" mehr als 20 Jahre das Bild auf der Linie 5 bzw. 105, bis sie Anfang der neunziger Jahre durch M-Wagen ersetzt wurden. Aufgrund gestiegener Fahrgastzahlen kam es in den nun kleinsten Essener Straßenbahnwagen zu Kapazitätsproblemen, so daß sich die EVAG entschloß, Mittelteile einzufügen und sie so zu Achtachsern zu verlängern. Hierbei erhielten die TW 1721, 1723, 1727 und 1730 die Mittelteile ausgemusterter Duisburger Einrichtungswagen, die übrigen solche aus ausgemusterten Essener Wagen. Bei dieser Gelegenheit wurden alle Wagen grundüberholt und erhielten eine Lackierung in kräftigerem gelb und blau. Zur Unterscheidung wurde die Wagennummer jeweils um 30 erhöht, so daß die Fahrzeuge die Nummern 1751-60 erhielten. Fortan kamen sie auf allen Linien ohne Hochbahnsteigen zum Einsatz, hauptsächlich jedoch auf den Linien 103, 104, 106 und 115. Als 1998 mit der Umspurung der Strecke Altenessen - Karnap - Horst viele meterspurige Straßenbahnen überzählig waren, wurden die "1700er" ausgemustert und nach Arad in Rumänien abgegeben wobei 1755, 1758, 1759 und 1760 nur als Ersatzteilspender übernommen wurden. Inzwischen sind sie verschrottet. Zuletzt der TW 1755 im Jahre 2009. Lediglich 1753 ist erhalten geblieben. Als historisches Fahrzeug in Essen.

Quellennachweis:
  1. verschiedene Ausgaben des Magazines "Sternfahrt"


© Michaela Barz-Berg

zurück zu Dampflok und Straßenbahnen im Ruhrgebiet


Fahrschein, Essen

⚒ Glückauf! ⚒
 
Michaela Barz-Berg, 05.2002 - 2024